Wir sind alle wohlbehalten an Leib und Seele wieder in der Schweiz angekommen! Drei unglaubliche Wochen durften wir in der winterlichen Mongolei verbringen. Vollbepackt mit Winterkleider sind wir hingereist. Beschenkt mit 1000 Erlebnissen und Erinnerungen sind wir zurück gekehrt. Lesen Sie hier den persönlichen Reisebericht von Barbara Simeon.
Na, ja ein bisschen Sehnsucht nach dem Altai klingt schon noch mit, was aber durch die Annehmlichkeiten der Zivilisation (Badezimmer, Obst, Gemüse, Salat usw.) oberflächlich schnell wieder ins Lot gerückt wird. Wir hatten Respekt von den tiefen Temperaturen, wussten wir doch nicht wie unserer Körper und auch die Technik darauf reagieren würde. Schliesslich wollten wir einen Film über das Leben und die Bräuche der Tuwa Nomaden und besonders über Galsan Tschinag drehen. Dennoch liessen wir uns nicht beirren. Heute wissen wir es, es war gar nicht sooo schlimm. Selbstverständlich war es sehr kalt, ein mitgebrachtes Thermometer (bis max. -30°C) zeigte Tages-Temperaturen von bis -25°C – mit Altaiwind gibt es keine Messungen… Die Jurte wurde gut geheizt, und auch nachts hatten wir in unseren Schlafsäcken wohlig warm.
Nach zwei Tagen im Hadat, am Steppenrand von Ulaanbataar, im Hause von Galsan Tschinag flogen wir am frühen Morgen des 21. Dezember von Ulaanbatar nach Ölgy in der äussersten Westmongolei (3 Stunden Flug). Dort wurde unsere kleine Reisegruppe mit Galsan Tschinag, Tüschgee (seine Schwiegertochter und Mutter von seinem Enkel Bulug), Bulug, Andreas Burhorn (Regisseur des Films), Clivia Bucher und mir von Fahrer Papli mit einem älteren russischen Kleinbus abgeholt. Die erste Etappe unserer Fahrt führte über die Steppe ohne befestigte Strassen in die Bezirkshauptstadt Tsengel und dauerte an die vier Stunden.
Wir wurden bei Tuja, einer hervorragenden Näherin und Filzerin mit einem wunderbaren Milchtee und Essen bewirtet, bevor wir den letzten ca. 2-stündigen Teil unserer Anreise zum Winterlager in Angriff nahmen. Selbstverständlich haben wir bei ihr auch noch warme Filzpantoffeln für die Jurte erstanden. Der Bus quälte sich dank der zwei zusätzlichen Übersetzungen im Getriebe den Berg hinauf auf waghalsigen nicht vorhandenen Wegen und immer wieder dem Abhang nahe.
Dann sahen wir sie – unsere Jurte – unser Zuhause.
Wie freuten wir uns endlich angekommen zu sein. Die Jurte stand auf atemberaubender Höhe mitten auf einer kleinen Ebene. Daneben war noch ein kleines Holzhäuschen, wo eine liebevolle Nomadenfamilie mit ihren Tieren ihr Winterlager hatte. Wir besuchten uns gegenseitig immer wieder.
Der Blick weit über den Altai auf unzählige Gipfel war frei, uneingeschränkte Natur. Der heilige Berg der Tuwiner, der Haarakan, zeigte sein schneebedecktes Haupt und lag im untergehenden Sonnenlicht.
Das Tal mit den gefrorenen Flüssen Hoft und dem gelben Fluss leuchtete silbern. Was für ein Anblick, was für eine beruhigende Wirkung auf die Seele – einfach Natur pur und nicht von Menschenhand verändert.
Was machte es da aus, dass unsere Toilette die freie Bergsteppe war? Den Nomaden ist vieles heilig. Kein Nomade würde seine Notdurft „drinnen“ verrichten, das muss „draussen“ geschehen, so war das für uns auch selbstverständlich. Genauso wie kein Nomade jemals Abfall oder Papier im Herdfeuer verbrennen würde, weil das Feuer heilig ist und nur das Essen und der Tee darauf gekocht wird. Der erste Spritzer Tee am Morgen wird dem Himmel geopfert, ebenso das erste Stückchen Fleisch, dass gekocht wurde.
Wir wurden freudig und herzlich von Galtai Galsan, dem Sohn von Galsan, willkommen geheissen. Ebenso wurden wir von lieben bekannten Nomadenfreunden herzlichst begrüsst, von Zazek und Japan, die die ganze Zeit bei uns waren – sie waren unsere treuen Begleiter und Alleskönner; sie haben Feuer gemacht, Eis als Trink- und Waschwasser geholt, Holz gehackt und Dung für das Feuer hergebracht, Tee gekocht, Fleischberge kleingeschnitten, die Pferde gesattelt, haben Schnee geschaufelt, den Bus geschoben, unser Equipment getragen und immer versucht zu erahnen, was wir gerade suchen oder brauchen – sie waren immer und überall zur Stelle. Ja, sie haben uns sogar warmes Wasser über unser Haupt rinnen lassen, damit wir Haare waschen konnten. Der erste Milchtee in unserer Jurte und das Abendbrot mit selbstgemachtem Yak Käse von Galtai schmeckte herrlich.
Die Tage bis Silvester verbrachten wir am Berg und täglich machten wir Filmaufnahmen und unzählige Fotos über das Leben, die Bräuche und Sitten der Tuwa Nomaden und natürlich die grandiose Natur. Die Hauptfiguren des Filmes waren Galsan Tschinag als Stammesoberhaupt und sein 7-jähriger Enkel Bulug; waren wir doch genau an der Stelle, wo vor 60 Jahren auch das Winterlager seiner Sippe war.
Wir flossen einfach so mit dem Leben mit, es gab kein festes Drehbuch, wir hielten ständig die Kameras bereit, so gut dies technisch möglich war. Die Kälte verlangte der Technik viel ab. Jeden Abend lief ein extra mitgebrachter Generator, um die Batterien und Akkus aufzuladen.
Wir unternahmen tägliche Erkundungen, manche einfach ins Blaue, andere gezielt, besuchten andere Nomaden und wurden immer so herzlich aufgenommen und bewirtet. Sie teilten das Wenige, das sie hatten mit uns. Und auch unserer Jurte beherbergte und verköstigte so manche Gäste.
Für die grosse und wichtigste Szene des Filmes, wurde selbstverständlich der Mondkalender befragt, die Gestirne und die Geister mussten dafür gut gestimmt sein. Über den Film können wir an dieser Stelle noch nicht allzu viel verraten. Bleiben Sie gespannt!
Der spirituellste Tag von allen, war sicher die Fahrt zum Geburtsort von Galsan und zu den Familien-Ovos.
Die guten Geister mussten auf dieser Fahrt gut gewacht haben, denn es ging über Schneefelder, unwegsames Gelände, tiefe Schluchten, steile Berge hinauf und hinunter und selbst die Autopanne mitten in der Wildnis bei eisigen Temperaturen konnte durch Paplis Erfindungsgeist schnell behoben werden.
Immer wieder haben wir Familien getroffen, die letzten Winter in grosser Not waren, weil ihre Tiere bedingt durch die eisigen Temperaturen und viel Schnee kein Futter mehr fanden.
Der Heu- und Kraftfutter Transport, durch Spenden aus unserem Verein „Open Hearts for Mongolia“ und dem Förderverein Mongolei e.V. und von Galtai mit einem Lastwagenkonvoi in die entlegensten Täler gebracht, sicherte die Existenz der Nomaden (lesen Sie hier mehr über unser Nothilfe-Projekt). Die Familienoberhäupter waren sichtlich berührt, uns zu treffen und persönlich zu danken. Alle betonten, dass die Hilfe buchstäblich in letzter Minute gekommen sei. Sie hatten wieder Hoffnung und Mut, weil es Menschen auf der anderen Hälfte der Erde gab, die ihnen geholfen haben. Wir werden in unserem Blog demnächst auch mehr Details über unsere Bekanntschaften mit diesen Nomaden teilen.
Wir mussten Abschied vom Leben am Berg und unserer Jurte nehmen, denn es ging am 30. Dezember ins Tal nach Tsengel. Für den Jurtenabbau kam Hilfe vom Militär mit zwei Soldaten, die es geschafft hatten einen LKW den Berg hinauf zu fahren, damit die Jurte abtransportiert werden konnte.
Die nächsten drei Tage wurde Tsengel und das gemütliche kleine Holzhäuschen von Mönder, der jüngsten Tochter der grossen Schamanin Pürwü* unser zu Hause. *Pürwü ist die grosse Schamenentante von Galsan, er wurde bereits im Alter von acht Jahren von ihr ins Schamanentum eingeweiht.
Von dort aus haben wir so manche Nomadenfamilie in abgelegenen Tälern besucht, haben unzählige weitere Stunden gedreht und viele, viele Bilder geschossen.
Bulug hat immer tapfer mitgemacht, kein Berg war ihm zu steil, keine Aufgabe zu viel, keine Temperatur zu kalt, kein Wind zu stark. Seine Leidenschaft fürs Sumo-Ringen wurde durch tägliches Training mit Clivia gefördert und liess seinen Kampfgeist sichtlich grösser werden. Clivia musste so manche Niederlage einstecken ;-).
Die Freude darüber liess ihn plötzlich deutsche Wörtchen aus voller Kehle sagen, was er bis anhin nicht konnte – „Super Bulug“.
Silvester verbrachten wir im Winterlager von der Sippe von Japan, weit abgelegen in einem wunderschönen Tal, wo drei Familien mit ihren Tieren leben. Um Mitternacht wurde ein Feuer entzündet und wir haben getanzt und gesungen, in allen möglichen Sprachen und Tönen und vom schönsten Sternenhimmel beleuchtet.
Die Gesänge setzten wir in der Wärme unter dem Dach von Ceren fort. Eigentlich feiern die Nomaden ihr Neujahr nicht an unserem Silvester, sondern zum Datum des asiatischen Neujahr, das sich nach dem Mond richtet. Sie wissen vom Brauch der Europäer und haben quasi uns zuliebe Silvester gefeiert. Wenn die Nomaden anfangen zu singen, dann wird es melancholisch und jeder Mann und jede Frau singt den Gästen ein Lied vor, das vom Altai, den Pferden, der Mutter, dem Vater und dem Nomadentum handelt, diese Lieder gehen ins Herz.
Der Neujahrsmorgen kam viel zu früh, aber wir hatten einen Ritt in die Berge bei schönstem Sonnenschein vor uns. Was war das für ein Anblick als die Herde Wildpferde von Japan gelockt hinter den verschneiten Bergen auf das Lager zutrabte und der Schnee staubte. Es ging uns einmal mehr das Herz auf.
Japan und Zazek wussten genau welches Pferd sie für wen satteln mussten und wer damit reiten konnte. Die Kameras und die Technik wurden mit dem Moped auf den Berg transportiert. Wir ritten weit hinauf zu den Yak Bullen. Was sind sie doch für grosse edle Tiere.
Wir konnten wunderbare Landschaftsaufnahmen machen und uns selber über den Anblick freuen. Die klirrende Kälte haben wir längst weggesteckt, weil wir ja immer wieder so reichlich belohnt wurden mit der grandiosen Natur.
Bei einem der Besuche bei Nomadenfamilien bekamen wir ein im Herbst geschossenes und im Pelz eingefrorenes Murmeltier geschenkt, das am nächsten Tag feierlich abgezogen, gekocht und leidenschaftlich von uns verzehrt wurde (die Altai Murmeltiere sind sehr gross und es werden locker 8-10 Personen davon satt).
Bei all unseren Besuchen haben Galsan und Galtai immer in beide Richtungen übersetzt und erklärt, sie wurden nie müde und wir wurden so gut es ging in die Gespräche und Erzählungen mit einbezogen.
Zurück in Tsengel zeigte Galtai uns das Daamal Zentrum der GT Stiftung. Dort ist die Filzwerkstatt untergebracht, das ein paar Tuwa Frauen ein Einkommen sichert und das Erdgeschoss ist als Restaurant verpachtet. Ganz in der Nähe konnte ein altes etwas baufälliges buddhistisches Kloster erworben werden. Das wird in nächster Zeit als kulturelles Zentrum für die Tuwa Nomaden aufgebaut werden. Wir haben die Baumschule (s. auch Baumprojekt) besucht und konnten die kleine Sanddornplantage sehen. Im grossen Gewächshaus sind viele Setzlinge, die im Frühjahr gepflanzt werden sollen. Eine Fahrt auf dem gefrorenen Fluss zum Kamelhals wurde die Kulisse für die letzten Filmaufnahmen.
Es wurde entschieden auf dem Weg nach Ölgy zum Flughafen in Sagsai Sum in der Kaserne, wo hauptsächlich Ur-Einwohner stationiert sind, einen Besuch abzustatten und die Nacht zu verbringen, um am nächsten Morgen rechtzeitig am Flughafen in Ölgy anzukommen. Wir wurden auch dort vom Oberst Buyontogtoch würdevoll empfangen. Nach dem Mittagessen hat Galsan für die Soldaten eine Rede gehalten. Danach fuhren wir auf den gefrorenen Fluss und konnten uns im Bogenschiessen (eine Nationalsportart der Mongolen) üben, was ein sichtlicher Spass für alle war.
Am Abend wurden wir von zwei kasachischen Familien eingeladen und grosszügig bewirtet. Es wurde für uns musiziert, gesungen und so mancher Vodka mit den besten
Der Rückflug nach Ulaanbataar war in den Lüften anfangs sehr stürmisch und in unseren Herzen wohl eher besinnlich.
Die Familie von Galsan, die zu Hause blieb, erwartete uns mit strahlenden Gesichtern am Flughafen. Wir wurden von Hemme sicher durch die schreckliche vom Verkehr total überlastete und versmogte Stadt Ulaanbaatar nach Hause in den Hadat gefahren, wo wir bereits von einer äussert tüchtigen und interessanten Burjatenfamilie in der Nachbarschaft zum Essen erwartet wurden.
Am letzten Abend unserer Reise sass die grosse Familie von Galsan mit uns zusammen und wir haben gemeinsam Milchtee und ein Gläschen Schnaps getrunken und liessen die Reise nochmals Revue passieren und – ein letzter, alles entscheidender Ringkampf mit Bulug… (Sie ahnen, dass es zu einer erneuten Niederlage für Clivia kam…).
Das Herz wurde allen schwer, obwohl wir sehr, sehr gerne wieder nach Hause geflogen sind.
Wir blicken zurück auf 20 aussergewöhnliche Tage, die alle Facetten des Lebens enthielten – die höchsten Glücksgefühle, aber auch Tränen, berührende Momente, herzensgütige Nomaden und das Hineintauchen in ihr Leben, das Teilnehmen am alten Wissen der Tuwiner, Herausforderungen an den Körper mit dem ungewohnten Essen, den tiefen Temperaturen, dem bitterkalten Wind, den eingeschränkten Möglichkeiten der Körperhygiene und das enge Beisammensein, das unberührte weite Land, die mystischen hohen Berge, der klarste und hellste Sternenhimmel, die rührenden Geschichten, tragikomischen Momente, ständiges Suchen nach unseren Dingen, die die Jurte verschluckt hatte, die herrlichsten Sonnenaufgänge, ins Herz gehende Lieder, Galtais Gesang und Spiel mit der Pferdekopfgeige, die gütige und lebenslustige Mönder, mit der wir so manches Gläschen gezwitschert haben, Galsans Erzählungen, Gebete und spirituelle schamanische Handlungen, lachende Kinderaugen trotz Rotznase von der Kälte, die zotteligen und kuschlig dicken Felle der Pferde, Yaks, Schafe, Ziegen und Kamele, die heiligen Ovos , die schnarchelnden Laute in der Jurte (wer war es?), das Miteinander, das Füreinander, das Gemeinsame, das Achtsame – und über allem wachte stets der gütige blaue Himmel.
Wir sassen alle sehr nachdenklich, dankbar, reich beschenkt und glücklich im Flugzeug und konnten es kaum erwarten in unserer Wohlstandwelt anzukommen – einzig und allein um sich nach dem sorgenfreien Leben im Altai mit den Tuwa Nomaden und dem Sonnenaufgang zu sehnen, so kommt es mir vor…
Einige Abgeordneten des mongolischen Parlaments planen durch das grösste Naturschutzgebiet der Mongolei eine über 300 km lange Autohandelsstrasse und einen Grenzübergang nach China zu bauen um die Grundlage der Westmongolen zu verbessern, heisst es. Der alt/neue Grenzübergang „Naransevstei“ soll eine direkte Verbindung mit der chinesischen Provinz „Gansun“…
Ein neues Zeitalter hat begonnen. Die Gemeinschaft der Nomaden, das Sippenleben, bot ihnen über Jahrhunderte Schutz und Rettung. Das Spannungsfeld, dass die neue Zeit mit den Herausforderungen brachte, fordert einen radikalen Wandel. Die unvorhersehbaren Wetterphänomene, die Einbindung der Selbstversorger in den Geldkreislauf oder das Internet mit den (Ver) Lockungen…
Galsan Tschinag hat mittlerweile 39 Bücher in deutscher Sprache geschrieben. Davon wurden 15 in andere Sprachen übersetzt, hauptsächlich in Englisch, aber auch in Französisch, Japanisch, Türkisch und natürlich in Mongolisch. Das jüngste Buchkind «Der blaue Himmel» wurde ins Mongolische übersetzt und dazu wurde eine schöne Veranstaltung in Ulaan Baatar…