Erlebnisbericht – Projektreise in die Mongolei | Open Hearts for Mongolia

Erlebnisbericht – Projektreise in die Mongolei

Wir nehmen Sie gerne mit auf unsere Erzählreise. Mit Autos, Jeeps oder Bussen fuhren wir rund 1500 km auf grösstenteils unbefestigten Bergstrassen und Pisten quer durch die Mongolei. Für die 1800 km lange Reise in den Altai wählten wir einen Inlandflug.

Wir haben viel erlebt und die Eindrücke lassen sich nicht in einer Seite verdichten. Reisen Sie mit unserem Erlebnisbericht durch diesen Blog und Newsletter.

Schon Monate im Voraus begannen wir mit der Planung und Organisation der Projektreise. Und so türmte sich langsam Material und Ausrüstung auf, welche in vier Koffern und zwei kleineren Rucksäcken mit insgesamt 118 kg verstaut wurde. 80 kg waren für nützliche Gastgeschenke reserviert, 20 kg wog das technische Equipment mit Film- und Fotomaterial und der Rest war persönliches Gepäck.

Die persönliche Ausrüstung musste vier Jahreszeiten standhalten. In der Mongolei herrscht Kontinentalklima mit heissen Tagen und kalten Nächten. In der Zentralmongolei und der Mittelgobi war es heiss und trocken und bis zu 30°C. Im Sommerlager der Nomaden im hohen Altai hatten wir Nachtfrost, Schneefall und eiskalten Wind. Wenige Fahrstunden entfernt, in Ölgi war es wieder heiss mit Temperaturen von 26°C.

Pulsierendes Ulaanbaatar
Die ersten Tage verbrachten wir in Ulaanbaatar. Von dort aus besuchten wir Projekte in Stadtnähe und in Mittelgobi. Wir waren kaum mehr als zwei Nächte am selben Ort. Das erforderte eine sehr gute und detaillierte Planung und Organisation des Gepäcks. Hätten wir auch nur einen Akku vergessen, gäbe es keine Filmaufnahmen aus dem Altai. Hätten wir die Gastgeschenke nicht dabeigehabt, eine schier undenkbare Situation. Wir hatten Glück – das nötige Equipment war während der insgesamt 5100 km immer irgendwie in unserer Nähe.

Ulaanbaatar wandelt sich langsam von einer staubigen Betonlandschaft in eine für ein Entwicklungsland typische Grossstadt. Die Infrastruktur kommt mit der Verkehrsentwicklung nicht mit und die Autoschlangen, die sich durch das Zentrum quälen, sind endlos. Die Stadt scheint nie zu schlafen und die virtuellen Werbetafeln blinken übergross von vielen Gebäuden. Im Winter versinkt die 1,5 Mio Stadt unter einer undurchsichtigen Smogglocke.

Was wir als positive Entwicklung wahrnehmen ist, dass es immer mehr begrünte Flächen in öffentlichen kleinen Parks gibt. Entlang der Strassen wurden viele Bäume und Sträucher gepflanzt. Teilweise wurden 2-3 Meter hohe Bäume aus den Wäldern geholt. Galtai gibt ihnen nur bedingte Überlebenschancen. Hier sehen wir bereits Möglichkeiten, wie das Wissen der GTS Stiftung als Baum-Kompetenzzentrum zum Tragen kommen könnte.

Besuch am Stadtrand von UB bei Galsan Tschinag
In der ersten Woche besuchten wir Galsan Tschinag. Die Zufahrt und das Gelände um sein Haus ist der Pionierbaumgarten. Das ganze Areal ist mit Bäumen und Sträuchern bepflanzt. Galsan Tschinag empfing uns herzlich. Bei Milchtee und feinem mongolischen Essen wollte er mehr über unsere Pläne erfahren. Mit seinem Segen wurden wir von ihm für unsere weiteren Stationen verabschiedet.    

Besuch in der Baumschule
Die Baumschule am Stadtrand von UB ist Dreh- und Angelpunkt für die verschiedenen Baumprojekte. Mittlerweile hat Galtai die Leitung der Galsan Tschinag Stiftung und der Baumschulen übernommen. Sie liegt in direkter Nachbarschaft zu Galsan Tschinags Haus. Wir treffen junge Nomaden aus dem Altai, die hier in der Baumschule Arbeit gefunden haben. Hier erfahren Sie mehr über die Baumschule

Die Grünanlage der Prinzessinnenquelle ist nur wenige Fahrminuten von der Baumschule entfernt. Weshalb es sich hier um eine Prinzessinnenquelle handelt, erfahren Sie in einem detaillierten Bericht

Unterwegs in der Mittelgobi
In der Mittelgobi haben wir ein neues Projekt «Lebensgärten» mit 10’000 Ulmensetzlingen realisiert. Nicht minder spannend waren unsere Fahrt und die Begegnungen mit Mensch und Tier.

Auf der rund 12-stündigen Hinreise wurden wir von einer beeindruckenden Landschaft und für uns seltenen Tieren begleitet. Die Weite der Mongolei hat uns wenige Tage nach Ankunft bereits in Beschlag genommen.

Jurtenruhe beim Kloster am Ongi Fluss
Nach einer langen Fahrt wurden wir herzlich in Sächenovo vom Bürgermeister begrüsst. Kurz nach unserer Ankunft näherte sich eine Gewitterfront mit Regen. Ein Segen für diese karge Region und unsere Setzlinge im Kofferraum. Uns wurde gesagt: «Ihr müsst gute Herzen haben, denn ihr habt uns den Regen gebracht», denn es hatte über Monate nicht geregnet, haben wir später erfahren.

Spätabends gelangten wir zu einem wunderschönen Jurtencamp nahe einer geschichtsträchtigen Klosteranlage, wo wir übernachteten. Selbstverständlich wurden wir zuvor mit einer nahrhaften Fleischsuppe verköstigt Am nächsten Morgen führte uns die Frau des Mönches durch die Klosteranlage. Diese wurde 1710 erbaut und umfasste im 18. Jahrhundert insgesamt 28 kleinere Klostergebäude. In Spitzenzeiten lebten bis 1000 Mönche mit ihren Lehrlingen in den Klöstern. Auf allen umliegenden Bergspitzen standen Stupas. Aus einem 1919 gefassten Brunnen wird heute noch Heilwasser, besonders für Magenbeschwerden, geschöpft.

Im Jahr 1937 kamen sowjetische Soldaten und vertrieben oder ermordeten die hier lebenden Mönche. 1946 wurde die Klosteranlage weitestgehend zerstört und erst 2004 entstand aus den Ruinen wieder ein Klostergebäude. Heute lebt wieder ein Mönch mit seiner Familie auf dem Gelände. Seinen Lebensunterhalt verdient er als Viehzüchter. Das Kloster wird mit Spenden finanziert. Auch wir haben uns mit einer Spende bedankt.  

Der Baum-Mann Galtai
Auf der Fahrt vom Kloster Ongi nach Sächenovo kamen wir an stattlichen Ulmen vorbei. Diese Bäume zogen uns in den Bann. Wir bestaunten die Bäume von allen Seiten. Galtai dagegen richtete seinen Blick auf den Boden. Innert Sekunden war er auf den Knien und sammelte Samen. So verhält sich ein Mann, der in enger Verbundenheit mit Bäumen lebt. Wir konnten zusammen einen kleinen Sack voll mit Ulmensamen einsammeln und Galtai sah wohl vor seinem geistigen Auge bereits grosse Bäume in Pärken. Die Ulmensamen verstaute er sorgfältig, um sie dann in der Baumschule zu Setzlingen heranzuzüchten. Wir mussten weiter – in der Stadt warteten über hundert Kinder und Erwachsene um mit uns zusammen die 10’000 Setzlinge in den Boden zu pflanzen.

Über unser Projekt Lebensgärten in der Mittelgobi erfahren Sie hier mehr.

Jurtengespräche mit zwei «tollen Kerlen»
Auf der Heimfahrt von Sächenovo besuchten wir den Nomaden und Landschaftsaktivisten Mönkhbayar und seine Familie. Ein bescheidener und faszinierender Mann. Er hat vor über 20 Jahren eine Demonstration auf dem Suchbaatarplatz in UB angeführt und verlangte von der Regierung ein neues Umweltgesetz. Weil er seinem Wunsch mit einem alten Gewehr Nachdruck verleihen wollte, wurde er zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt. Dank einer 2 ½ Jahre später erlassenen Amnestie kam er wieder frei und engagierte sich noch mehr als zuvor. Für sein Umwelt-Engagement hat er 2007 den Goldmannpreis für Umweltschutz in San Franzisko https://de.wikipedia.org/wiki/Goldman_Environmental_Prize verliehen bekommen. Unter anderen ist es sein Verdienst, dass in der Mongolei diverse Umweltgesetze verabschiedet wurden. Er ist der Gründer der Ongi-Fluss-Bewegung. Unter seiner Führung wurden 400 km Flussufer begrünt und Sanddornplantagen angelegt. Das Gras der Grünflächen schenkt er den Nomaden als Heuvorrat für den Winter und die Sanddornbeeren sind eine wichtige Einnahmequelle für die lokale Bevölkerung. Mönkhbayar ergänzt selbstkritisch, dass all diese Aktivitäten auch Schwächen haben. Die Schwelle zum Profit ist schwer zu erreichen und die aktuellen Monokulturen müssen um einheimische Baum- und Strauchsorten erweitert werden. Wir staunten über das riesige Wissen dieses Mannes, der weitab von jeglicher Zivilisation in der Jurte lebt. Ein Leitsatz von ihm bleibt uns in besonderer Erinnerung: «Wenn du den Mut hast, dann werden auch das Wissen und die Mittel kommen». Darauf aufbauend hat er viele mutige Projekte realisiert. Es fiel uns schwer zu gehen, wollten wir doch noch so viel von ihm wissen. Aber es begann bereits zu dämmern und vor uns lag ein weiter Weg.

Singen für den richtigen Weg
Nach vielen Stunden Fahrt von der Mittelgobi zurück nach UB bemerkten wir suchende Blicke in die Ferne gerichtet von unserem Fahrer Ganbaatar und Galtai. Es folgten kurze Halte um die Himmelsrichtung im Steppensand zu bestimmen. Bevor uns die Nacht umhüllte, wurden die Autoscheiben vom Steppensand befreit. Reifenspuren von anderen Autos sind wir seit Stunden nicht mehr «begegnet» und eigentlich hätten wir auch die geteerte Hauptstrasse schon vor Stunden erreichen sollen. Langsam verschwanden die letzten Konturen in der Dämmerung. Da ertönten plötzlich aus beiden Kehlen, wie galoppierende Worte, ein Reiterlied nach dem anderen. Ganbaatar und Galtai lachten und so fuhren wir beflügelt durch den mutmachenden Gesang unbeschwert durch die nächtliche Steppe. Irgendwann, viele Lieder und Anekdoten später, fanden wir in absoluter Dunkelheit die langersehnte Hauptstrasse nach Ulaanbaatar.   

Auf weitere fünf Stunden Autofahrt verzichteten wir und so wartete gegen Mitternacht auf der grossen Strasse in der Nähe von der Provinz Uvurkhangai ein Freund von Galtai. Er ist ebenfalls ein Umweltschützer und zeigte uns den Weg zu seiner Jurte. Seine Frau bewirtete uns nach Mitternacht mit frischem Milchtee, Fleisch und handgemachten Nudeln. Der Umweltschützer «zauberte» unter seinem Bett ein paar Bierbüchsen hervor. So verbrachten wir mit guten Gesprächen, Gesang, wunderbarem Essen und Trinken eine bereichernde Zeit in der Jurte dieser herzlichen und sympathischen Menschen. Gegen drei Uhr morgens nach einem 22-Stunden-Tag bezogen wir müde und zufrieden unser Nachtlager. Nach einem kurzen Schlaf wollten wir weiter nach UB, wo bereits die nächsten Termine auf uns warteten.

Im Hohen Altai

Ölgi

Für unsere Reise in den Altai packten wir das ganze technische Equipment und kiloweise Gastgeschenke ein. Der Flug von UB nach Ölgi dauerte nur ca. 1 ½ Stunden. Galtais Cousin, Enkhbayer hat uns am kleinen Flughafen abgeholt und in eine Pension im Zentrum gebracht. Anschliessend kamen wir im Restaurant Arwin zusammen, dass von Enkhbayer und seiner Frau Pujee geführt wird. Aber zuerst, wie immer, wurden wir verpflegt und genossen danach eine kleine Stadtrundfahrt und den Besuch eines Kriegerdenkmals hoch über Ölgi. Der Ausflug wurde mit einem «Nomaden-Picknick» abgerundet: Bierchen trinken in einer windigen kalten Felsnische. Zurück im Büro der Familie präsentierte uns Enkhbayer als Vorsitzender des Kloster NGOs den Stand zum Klosterprojekt. Er konnte alle unsere Fragen schlüssig beantworten. Es war ein kurzweiliger, dennoch langer und unterhaltsamer Abend. Irgendwo hinterm Schrank kam eine selbstgemachte Pferdekopfgeige zum Vorschein. Sie gehört der Tochter der grossen Schamanin Pürwüü. Selbstverständlich spielte Galtai darauf und wir haben bis tief in die Nacht gesungen und Geschichten erzählt.

Hier kommen Sie auf die Kloster Projektseite

Auf dem Weg nach Tsengel
Nach einer kurzen Nacht fuhren wir am nächsten Morgen mit Enkhbayer nach Tsengel. Die Fahrt führte uns durch atemberaubende Landschaften, Steppen, Gebirge, Hochtäler, enge Strassen, ausgeschwemmte Flussbeete und schwindelerregende Höhen. Selbstverständlich wurde auch Halt an einem Ovo gemacht, wo wir darum baten, dass unsere Reise ohne Unfall und andere Zwischenfälle verlaufen möge.

Was sehen Tuwiner, wenn sie im fahrenden Auto die Landschaft betrachten? Nein, keine Berge, Seen, Täler oder anderes – es gibt für sie nur ein «Objekt» der Begierde: MURMELTIERE. Nach einigen Stunden Fahrt waren auch unsere Sinne auf Murmeltiere ausgerichtet. Geschossen wurde natürlich nur mit der Kamera.

Tuwa Schule Tsengel
Ein weiterer Abstecher galt der staatlich anerkannten Tuwa Schule in Tsengel. 160 Tuwinische Kinder gehen dort zur Schule. Weil für sie die Hin- und Rückreise zur Familie mehrere Stunden oder gar Tage dauert, wurde in der Nähe ein Internat für 56 Schüler gebaut. Leider fehlen noch viele Internatsplätze, wo die Kinder während der Schulzeit leben können.

Heute gehen die Schüler bis zur 9. Klasse in diese Schule. Ab Herbst 2022 können die tuwinischen Kinder sogar bis zur 12. Klasse ein Tuwa Gymnasium besuchen. Vorher mussten sie in kasachische Schulen wechseln, was immer wieder zu Konflikten geführt hat. Für die tuwinischen Jugendlichen ist es daher wichtig, dass sie in ihrer eigenen Sprache und Kultur unterrichtet werden.

Für eine gesetzliche Regelung, dass die tuwinische Sprache als Unterrichtssprache anerkannt wird, kämpft die GTS und Galtai seit Jahren, nun scheint es Wirklichkeit zu werden, dass die Tuwa Schule sowohl in Mongolisch wie auch Tuwinisch unterrichten darf. Zurzeit wird eine Zweitsprache-Initiative lanciert, so dass die Tuwinische Sprache als offizielle Zweitsprache anerkannt wird und ab der 2. Klasse in den ordentlichen Lehrplan integriert wird.

Für uns auf dieser Projektreise ein weiterer wertvoller Einblick in die Themen von ethnischen Minderheiten.

Friedenwald in der Höhensteppe bei Tsengel
Ein grosses Anliegen von Galsan Tschinag war es, dass wir den Friedenwald besuchen. Die Tuwa begraben traditionell ihre Heimgegangenen in der Steppe. Das mag dem einen oder anderen etwas archaisch vorkommen. Wir müssen aber bedenken, dass das Territorium des Altais unermesslich gross ist. Im Durchschnitt lebt dort nur eine Person pro km2. Die Tuwiner legen ihre Toten sehr liebevoll in der Form eines Embryos in einen weissen Leinensack und begraben sie dann in der Steppe. Nicht ohne vorher die Steppenmutter um Erlaubnis gefragt zu haben, ob dieser Körper wieder in ihren Schoss gelegt werden darf. Die Erdkruste wird achtsam aufgegraben und genauso achtsam wieder geschlossen. Nach einer Weile ist das Grab nicht mehr erkennbar. Es werden auch keine Schilder mit Namen angebracht. Alles soll wieder in den natürlichen Kreislauf zurück.

Durch die witterungs- und klimabedingten Bodenabtragungen und der Versteppung kamen Knochen von in der Steppe begrabenen Tuwinern an die Oberfläche und wurden von kasachischen Hirten und übermütigen Jugendlichen mutwillig missbraucht. Die Totenruhe wurde absichtlich und schändlich gestört. Seit die kasachische Bevölkerung im Altai so stark zugenommen hat, wurden in den letzten 20-30 Jahren unbewohnte Täler bevölkert. Die Kasachen sind Moslems und haben allein in der kleinen Stadt Tsengel zwei Moscheen und mehrere Friedhöfe wo sie ihre Toten in teilweise grossen Bauten, richtigen Mausoleen, nach eigener Tradition beerdigen.


Galsan Tschinag wollte diesem Treiben Einhalt gebieten und vor allem für die Totenruhe seiner Sippe einen geschützten Ort schaffen. Vor 12 Jahren hat er deshalb ausserhalb des Städtchens Tsengel einen Friedhof erschaffen. Dieser Ort liegt wunderschön gelegen auf einer Hochebene, einige Kilometer ausserhalb von Tsengel mit einem Rundumblick auf die magische Bergwelt des Altai. Vor einigen Jahren wurde ein massiver Eisenzaun erstellt, ein Brunnen wurde gebohrt und nach und nach 2000 Bäume gepflanzt. Es sollte ein Friedenwald geschaffen werden, in dem die heimgegangenen Tuwiner nicht gestört werden. Dort sind mittlerweile einige Hundert Menschen begraben.

Bis heute kämpft die Galsan Tschinag Stiftung darum, dass die kasachische Bezirksregierung diesen Ort erstens anerkennt und zweitens schützt, damit die Toten in Frieden ruhen können. Leider war das Bild, dass sich uns zeigte erschreckend. Der stabile Eisenzaun ist komplett abgebaut worden. Es sind nur noch einige Löcher sichtbar, in denen die Eisenpfosten verankert waren. Die zweitausend Bäume die innerhalb des Zaunes eine zusätzliche Umfriedung waren, wurden herausgerissen oder vom Vieh gefressen. Es war ein trauriges Bild. Auch das Brunnenhäuschen wurde verunstaltet, mit Graffiti beschmiert und das Mauerwerk ist beschädigt. Ob der Brunnen noch funktioniert, konnten wir nicht überprüfen. Um eine Strafanzeige gegen unbekannt einzureichen, müssen erst verschiedene Grundbucheinträge erstellt werden. Dies wurde von Galtai bereits eingeleitet. Es scheint jedoch unwahrscheinlich, dass die Diebe gesucht, gefunden und zur Verantwortung gezogen werden.

Frühlingswetter im Winterlager
Für unsere Übernachtungen fuhren wir aus dem Ort zu den Nomaden. Die ersten Tage verbrachten wir im Winterlager einer Sippe. Die Infrastruktur besteht aus festen Behausungen, welche der extremen Witterung standhalten. Der erste Hammel des Frühjahrs wurde zu unseren Ehren geschlachtet. Das Beste aus dem Speisevorrat wird immer den Gästen gereicht. Nebst frischem Fleisch sind das die Milch und weisse Speisen (im Sommer verarbeitete und haltbar gemachte Milchprodukte).

Wir waren zu Gast bei vier Brüdern und ihren Familien. Sie leben mit ihren Tieren in einem atemberaubenden Hochtal in kleinen Holzhütten. Die Familien waren im harten Winter 2018 besonders betroffen, weil sie viele Tieren verloren haben. Immer wieder wurde uns gesagt, dass unsere Hilfe ihnen wieder Mut gemacht hat. Es sind sogar Tränen der Rührung geflossen. Und jetzt kämen wir wieder von weit her und würden helfen, das Kloster aufzubauen. Allein diese Tatsache löst bei den Nomaden eine tiefe Dankbarkeit, aber auch einen festen Willen aus, selber tatkräftig mitzuwirken.

Die Nomaden sind sehr gute Erzähler, das ist Teil ihrer Kultur, da sie über Jahrhunderte ohne Schriftsprache lebten. Nach einem langen Tag draussen mit den Tieren war die Nähe zum warmen Ofen der ideale Platz um zu erzählen was jeder am Tag erlebt hat. Auch wir bekamen viele Geschichten erzählt und genauso neugierig waren sie auch auf unsere Erzählungen und wie wir in der Schweiz leben. Wir gaben unser Bestes und Galtai wird wohl bei der Simultanübersetzung unsere Geschichten noch etwas angereichert haben. Unsere Gastgeber waren begeistert und gleichzeitig belustigt von dem was sie aus der fernen Schweiz hörten.

Rinnsal als Lebensquelle
Eine kleine Quelle, einige hundert Meter vom Winterlager entfernt, liefert Trinkwasser für die Sippe. Mit einem Eimer und Becher ausgerüstet gingen auch wir Wasser holen. Jeder Schluck ist kostbar. Einst kam das Wasser sprudelnd aus dem Erdreich. Heute ist nur noch ein Rinnsal übrig, das jeden Moment ganz versiegen könnte. Wir fragen nach dem Grund der versiegenden Quelle und tauchen wieder in eine neue Geschichte ein. In direkter Nähe zur Quelle wurden vor Jahren unerlaubt zwei grosse Lärchen gefällt. Die Baumstümpfe ragen wie Mahnmale aus dem Hang. Alle Versuche der Sippe durch Gebete, schamanische und buddhistische Rituale, Spenden, Anrufungen des Himmels, die Quelle solle wieder sprudeln und die Bäume wieder wachsen, blieben ohne Erfolg. Wir diskutierten weitere Möglichkeiten, die Quelle wieder zum Leben zu erwecken. Galtai und Ruedi holten nach einem langen Fussmarsch bergauf zwei kleine Baumsetzlinge, die wir zusammen mit den Nomaden und den Kindern nah an den Stümpfen in die Erde pflanzten und bewässerten. Dazu legten wir Bergkristallen aus der Schweiz und gaben unserer Hoffnung Ausdruck, dass die Setzlinge anwachsen und das Quellwasser zurückkommen möge.

Schnee und eisige Winde im Sommerlager
Die Nomaden wechselten während unseres Besuchs vom Winter- ins Sommerlager. So packten auch wir nach Projektbesuchen in Tsengel die Gelegenheit beim Schopf und reisten für weitere Übernachtungen in ein Sommerlager am Kharaganafluss. Die Fahrt von Tsengel führte in die Berge auf über 2500 m über Meer. Der ersehnte Regen wurde durch Schneefall abgelöst und der alte Jeep kämpfte sich durch das nächtliche Schneetreiben. Plötzlich ging irgendwo in der Weite eine Jurtentüre auf und wir wurden vom Ältesten der Sippe freudig und erleichtert empfangen. Sie sorgten sich bereits um uns wegen der schlechten Witterung.

Offene Jurten
Bei uns undenkbar, bei den Nomaden ein Lebensprinzip: Die Jurte ist für alle offen. Die Distanz und das dünn besiedelte Gebiet machen aus jeder Jurte einen Begegnungsort.

So gingen wir jeden Tag von einer Jurte zur nächsten und übernachteten täglich bei einer anderen Familie. Es war kaum zu schaffen, denn alle wollten, dass wir zu ihnen kommen. Ein Besuch heisst, immer reichlich bewirtet zu werden. Es wird frischer Tee und Essen gekocht. Dazu muss erst das Feuer mit Dung geschürt und Wasser vom Fluss geholt werden. Gastgeschenke werden überbracht und Galtai als Stammesführer wird oft um Rat gefragt. Was nie fehlte, war der obligate Wodka, Geschichten und traditioneller Gesang.

Wie das unsere Mägen bewältigten ist uns heute noch ein Rätsel. Der Höhepunkt an Hauptmahlzeiten war an unserem letzten Tag im Altai, dem Tag des grossen Ovo Frühlingsfestes. Nach einem essens- und trinkreichen langen Tag hatten wir spätabends noch Besuche bei drei Familien auf dem Programm. Die Einladungen abzulehnen, war indiskutabel und wäre sehr unhöflich. Nach Mitternacht kamen wir in unserem Schlaflager bei einer Familie an und uns wurde eröffnet, die Hausfrau habe extra für uns eine Gemüse-Nudelsuppe gekocht. Weil wir auch diese Einladung keinesfalls ausschlagen konnten, liessen wir uns widerstandslos auf Hockern neben dem dampfenden grossen Topf nieder. Wir wissen nicht, wo die Karotte herkam, die in stecknadelkopfgrossen Teilchen im grossen gusseisernen Suppentopf voller Fleisch und Nudeln schwamm. Selbstverständlich haben wir diese liebevoll zubereitete Gemüsesuppe gegessen. Später wurden wir in unserem Schlafsack vom vom Jurtenvater noch mit allem zugedeckt, was auffindbar war und uns wärmen konnte, denn die Nächte waren sehr kalt. Wir alle hofften, dass das wackliges Bett Barbara tragen würde, denn unter ihrem Bett stand eine grosse Wanne voller Yoghurt. Wir lachten uns ob der bizarren Vorstellung in den Schlaf. Kaum ein paar Atemzüge geschlafen und geschnarcht, ging das morgendliche Treiben in der Jurte wieder los und es dampfte bereits wieder ein grosser Kessel mit frisch gemolkener Yakmilch zum Frühstück.

Die beste Kaschmirwolle kommt aus dem Altai
Das Kaschmirprojekt beschäftigt uns seit einiger Zeit. Während unserer Reise besuchten wir die Nomaden, die im Kaschmirprojekt mitwirken. Dazu haben wir auch im Blog berichtet.

Im Frühjahr 2022 ist bereits die zweite Generation von weissen Kaschmirziegen zur Welt gekommen. Die aktuelle Zahl der Ziegen konnten wir nicht eruieren, aber es war ein freudiger Anblick. Über die ganze Höhensteppe waren weisse Ziegen verteilt. In einzelnen Jurten standen auch Säcke mit gekämmter Kaschmirwolle bereit zum Verkauf. Die Nomaden haben erkannt, dass sie ihr Beitrag für das Kaschmirprojekt in eine nachhaltige Zukunft führen kann. Dabei zu sein und zu erleben wie aus der existentiellen Not von 2018 neue Perspektiven für die Nomaden entstehen, das geht unter die Haut.

Wir sehen der weiteren Entwicklung mit Zuversicht entgegen. Der Frühling brachte zudem viele Niederschläge, während unseres Besuchs hat es ja sogar geschneit. Das ist besonders gut für die Herbst- und Winterweiden. So finden die Herden auch bei grosser Kälte Nahrung und kommen durch den Winter.  

Die ersten Pullover aus 100% tuwinischer Kaschmirwolle werden voraussichtlich in diesem Herbst in der Schweiz lieferbar sein. Lesen Sie hier mehr dazu.

Das grosse Frühlings Ovo Fest
Es war für uns eine sehr grosse Ehre am Ovo Fest dabei sein zu dürfen und bei den Ritualen und Gebeten mitmachen zu dürfen. Ein unvergesslicher Tag.


Wir haben vor einem Jahr sehr ausführlich über den Sippen Ovo berichtet.

Lesen Sie heute den aktuellen Beitrag vom Ovo Fest im Mai 2022

Zurück in UB
Die guten Wünsche von Galsan Tschinag beim Start unserer Projektreise haben ihre volle Wirkung entfaltet. Wir haben mehr als nur Projekte besucht. Wir lernten Menschen und ihre Geschichten kennen. Wir durften an ihrem persönlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben teilhaben. Wir durften erleben wie die Nomaden respektvollen Umgang mit der Natur pflegen.

Es war für uns eine besondere Reise, die unvergesslich bleibt. Wir haben wunderbare Menschen kennen gelernt und Freunde wieder treffen können.

Wir danken Galtai, dass er alles organisiert hat. Er hat geduldig alle Fragen beantwortet und pausenlos simultanübersetzt. Er war uns ein wichtiger Begleiter, Freund und Helfer. Wir haben viele gute Gespräche geführt, viel gelacht und gesungen und jeder hat den anderen dort unterstützt wo es nötig war. Wir waren ein tolles Team!

Open Hearts for Mongolia
Barbara Simeon, Präsidentin
Ruedi Patt, Projektleiter Klosterprojekt

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