Eine mongolische Adventsgeschichte - Teil 1 | Open Hearts for Mongolia

Eine mongolische Adventsgeschichte – Teil 1

Wir erzählen euch hier eine mongolische Adventsgeschichte. Sie ist eigentlich unglaublich, aber selbsterlebt von Galsan Tschinag. Die Geschichte handelt von einem König und seinem Sohn, hier Häuptling und Häuptlingssohn genannt, Schätzen aus Gold und Edelsteinen, feinem Wachholderrauch und einem kleinen Volk hoch im Altai.

Das ist die Geschichte einer kleinen Schnupftabakflasche, die von einer Kraft bewohnt zu sein scheint, welche sich auch anders nennen liesse: Energie oder Geist oder gar Seele. So zog sie dreimal Diebe auf sich und kam dann alle drei Male wohlerhalten zu Galsan zurück. Eine Schnupftabakflasche ist für jeden Nomaden ob Mann oder Frau ein sehr, sehr wichtiges Utensil, dass sie ein Leben lang bei sich tragen.

Der Aussenkörper dieses besagten Fläschchens sieht wie zusammengesetzt aus etlichen Arten halbedler Steine aus. Dazu sollte man wissen, dass sich Halbedelsteine in der nomadischen Welt grosser Beliebtheit erfreuen. Könnte jedoch allein dies zum Grund gereicht haben, dass das polierte Steingut, das in einer Handkuhle bequem Platz findet, innerhalb von sieben Jahren, seitdem sie bei Galsan Tschinag gelandet ist, ganze drei Male dem Diebesraub zum Opfer gefallen ist? Und das, während es solcher Flaschen schon viele gibt, und die wenigsten von jenen mussten wohl unfreiwillig den Besitzer wechseln.

Wären die Vorfälle nur im eigenen Land, der Mongolei, passiert, dann könnte Galsan es schlecht und recht hinnehmen und letzten Endes auch verdauen. Dies, weil den guten Ruf der nomadischen Welt als dessen natürlicher Schatten ein paar unschöne Eigenschaftswörter wie diebisch mit zu begleiten scheinen.

Zu dem ersten Diebesraub kam es weit weg von den armen Nomaden, an einem anderen Ende des Globusses, und zwar in Deutschland während eines Seminars. Nach dem Mittagessen im Nebenraum, betraten alle Teilnehmer wieder den Saal. Da zog der kreisrund gestaltete Altar in der Raummitte der Blick von Galsan auf sich. Er war irgendwie verändert. Und sogleich bemerkte er, dass die Schnupftabakflasche, die den ganzen Vormittag, gleich einem weiteren Lichtspender zu der brennenden Kerze, gestrahlt hatte, nun fehlte. Die  Unterlage aber, der grasgrüne Beutel, lag noch da. Vielleicht hat irgendjemand von den Teilnehmern sie dort entnommen um vielleicht seinen Geruchssinn an dem prickelnden Duft der feingemahlenen Kräuter mit Wachholderasche zu berauschen.

Aber die Flasche war nirgends zu entdecken, was ihn in eine kleine Unruhe versetzte. So sagte er in die Runde: „Unserem Altar fehlt, liebe Leute, eine Hälfte seines Herzstücks, die Schnupftabakflasche. Wer sie dort entnommen, lege sie bitte bald dorthin zurück!“ Auch jetzt rührte sich keiner. Galsan spürte einen kalten Wind durch seinen Innenraum hindurch ziehen.

Die Organisatorin sagte mit zitteriger Stimme leise: „Was machen wir nun, um Himmels Willen?“ Sie hat alle Teilnehmer nochmals gebeten in den Taschen nachzusehen, ob vielleicht jemand versehentlich die Flasche eingesteckt habe. Die Flasche blieb verschwunden.

Es geschah aber etwas Wundersames, die Gruppe wirkte zerstreut und der ganze Workshop war der traurigste und zäheste, den Galsan in all den vielen Jahren je durchgeführt hatte. Es wirkte eine seltsame Energie im Hintergrund. Es tat damals Galsan gar nicht so sehr um die verschwundene Flasche leid – er hatte schliesslich auch andere, sogar ansehnlichere und teurere Stücke zuhause liegen. Auch würde er sich bei Gelegenheit eine weitere, noch Bessere zulegen können, sollte das Fehlen dieser einen in seiner Sammlung wie eine empfindliche Lücke wirken.

Nein, an der Flasche lag es ihm wirklich nicht so sehr. Es war etwas Anderes, was auf sein Herz drückte und worüber seine Gedanken stolperten: Der Glaube an den guten Ruf Deutschlands, dieser anderen, gleichwertigen Heimat seines Geistes, war nun erschüttert. All die Jahre zuvor war ihm doch in deutschen Landen, nichts so einfach weggekommen, während solches im eigenen und in manchem anderer Länder schnell vorkommen konnte, so dass sich der schöne Glaube in seinem Hirn festgesetzt hatte: Die Deutschen sind ein Volk, hoch erhaben über solche Niedrigkeit wie Diebstahl!

Und nun!?

Die schlaue Veranstalterin schrieb allen Teilnehmenden eine Email und erklärte, dass der Wert sowohl des Gesteins als auch des Kunsthandwerkes nicht sehr hoch sei. Aber derjenige, der die Flasche eventuell als Ritualgegenstand oder vielleicht sogar als Galsan Fetisch mitgenommen habe, werde keine Freude daran haben. Weil dessen wahrer Wert sei idealer Natur, und dies gälte einzig für den Eingeweihten, den Schamanen, und zwar als Wohnstätte seiner vielen Hilfsgeister, während sie dem nichteingeweihten Entführer im Gegenteil nur Unglück bringen könnten, wie jeder schamanische Gegenstand seinem Entführer in der Regel grosse Schäden zu verursachen pflegte! Was übrigens die Sorge des Schamanen gewesen sei.

Schon wenige Tage später wurde die Tabaksflasche anonym zurückgeschickt. Also durfte Galsan sein kleines zurückgekehrtes Schätzchen wieder in den Händen halten. Und sah, dass der für den Schnupftabak bestimmte Hohlraum in der Zwischenzeit vom Tabak restlos befreit, als Behälter für irgendein Öl gedient haben müsste, denn es war aussen wie innen ölverschmiert. Nun bemerkte er, dass jene Materialität, vor nicht allzu langer Zeit auf dem Trödelmarkt seinen Blick auf sich gezogen und dann gegen eine wirklich erschwingliche Ausgabe zu ihm gelangt war, nun auf seiner Urteilswaage an Gewicht beträchtlich zugenommen hatte.

Die Flasche spülte er mit heissem Wasser und trocknete sie in der Sonne. Später hielt er sie ans Tageslicht und äugte hinein. Und was musste er da sehen, oh grosser Himmel?! Unvorstellbar – so was Schönes nebeneinander, lauter Muster, bald an Tieren, bald an Pflanzen erinnernde Gebilde, kurz, eine Minigalerie!

Sein Blick klebte ohnmächtig daran, beschämt ob dem eigenen jüngsten abfälligen Urteil über das Prunkstück. Und er dachte: „Ach wie dumm von mir, diese Zusammenkunft so vieler Schönheiten auf engstem Raum in die Klasse von belanglosem Tand gebracht zu haben, oh je!“

Also wurde die Tabaksflasche ab dem Augenblick zu einem der Gegenstände, welche er ständig in seiner nächsten Nähe sehen, sie im Laufe des Tages wenigstens einmal angefasst und ein paar Herzschläge lang angeschaut haben will.

Das war das erste Abenteuer dieser Tabaksflasche.

Wie es weiter geht, erfahrt ihr im zweiten Teil der Geschichte am 2. Adventssonntag.

Jeder, der eine Spende in Höhe von mindestens CHF 50.00 macht oder Produkte in dieser Höhe bestellt, nimmt automatisch an unser Verlosung teil. Wir verschenken eine original mongolische Tabakflasche mit Beutel.
Das Gewinnspiel gilt vom 28. November bis zum 19. Dezember.

Beträge bis 20.12. auf OHfM Konto verbucht werden berücksichtig.

Viel Glück!

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